Anfrage per Facebook durch W.V: Wau das ist ja eine Lebensschule, was magst du noch mit dem Sport erreichen?

Hier meine Antwort - vielleicht hilft sie dem einen oder anderen auch:

Hallo W.,

danke für deine Rückmeldung. Also: woher kommt Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen? Was besagt das Wort Selbst…? Bei sich sein, seine Struktur kennen – eine Struktur haben – eine Struktur entwickelt zu haben um sie zu haben.

Und schon sind wir beim Thema – ich habe damals mit Tae Kwon Do angefangen. Aber schnell gemerkt, dass das subtile Versprechen der Umsetzung des ‚Kampfsports‘ in der Selbstverteidigung nicht standhält. Und hatte mit Glück als 14-jähriger durch eine Hong Kong Reise das Buch von Leung Ting vor Ort gekauft. Ostern 1981 meinen ersten Lehrgang im Wing Tsun gemacht (auch noch 14-jährig). Dann ein Jahr später als 15-jähriger wieder einen Lehrgang – anschließend im gleichen Jahr eine Schule gefunden, wo ich dann über drei Jahre lang mit Bus und U-Bahn zwei bis drei Mal pro Woche jeweils 1,5h hin und zurück fahren musste für Unterricht – bitte auch den Begriff Unterricht von Training unterscheiden. Gehe ich später drauf ein. Ich habe meine Abiturvorbereitungen zum großen Teil in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Hin- und Rückweg zum Unterricht gemacht.

Dann kam die Bundeswehr und musste 1 Jahr aussetzen. 1987 hatte ich meine Schule in einem Kellerraum gestartet – 21 Jahre alt. 1 Jahr nach der Eröffnung kam mein ehemaliger Tae Kwon Do Lehrer zu mir.

Und so ging es weiter bis heute. Also alles in allem 44 Jahre aktiv – davon 35 Jahre unterrichtend.

Was ist Unterricht und was ist Training?

Wenn du etwas kannst gehst du zum Training um es weiterzuführen oder zu verbessern. Wenn du etwas nicht kannst, dann gehst in eine Schule um es zu lernen. Eine Schule ist aber auch gleichzeitig eine Art Trainingsort, wobei aber das Training nur die Erkenntnis ist, dass die Weiterführung dessen, was du erlernt hast, wieder eine weiterführend Lernerfahrung ist - wenn sie denn entsprechend von außen geleitet dahin entwickelt wird.

Ich habe dir meinen Weg aufgezeichnet um dir anschaulicher erklären zu können, was ich erreichen wollte - habe. Erstens: die Lernmethodiken WingTsun-Escrima sehe ich nicht als Sport an – denn Sport dient in erster Linie der Bewegung – aber noch mehr und dem Entertainment einer Öffentlichkeit durch Wettkampf. Das heißt, ich muss mich den Regeln unterwerfen und dabei gewisse Risiken auf mich nehmen, die ich sonst nicht auf mich nehmen würde – würde man vernünftig darüber nachdenken. Und meine jetzt nicht den Zusammenhang zwischen Kampfsport und Selbstverteidigung.

Im Sport bin ich nur darauf bedacht, mich gegenüber anderen zu messen – ansonsten wären Wettkämpfe überflüssig. Das ist auch der Geist des Sports – heutzutage. Dabei bin ich aber mental nicht bei mir sondern immer nur auf einen anderen Menschen fokussiert. Ich halte ihn immer vor meinem geistigen Auge wach. Wo bleibt aber dabei die Arbeit an der eigenen Struktur – an dem Selbst? Ich habe – siehe oben wo ich andeute, dass ich die Umsetzung von Kampfsport in der Selbstverteidigung schon jung für mich abgehakt hatte – entschieden, dass ich nur an meiner Struktur interessiert bin und an deren Entwicklung. Durch meine weltweiten Reisen über die letzten Jahrzehnte - und das erzähle ich gerne regelmäßig meinen Schülern – hatte ich etwas Wichtiges durch die Sicherheitsansage vor dem Start gelernt:

Bei Druckabfall soll man sich erst selbst die Maske anlegen und dann anderen helfen! Nicht anders herum!

Und genau dieses anderes herum wird auch gerade in den traditionellen Kampfkünsten als auch im Kampfsport gelehrt und gelebt. Wo bleibe ich aber dann als jemand, der doch sich selbst entwickeln will? Denn nur mit einer Struktur kann ich anderen als auch mir helfen. Im Kampfsport, wo Wettkämpfe die Richtung der Aktivität weisen musst du dich ständig auf andere Menschen fokussieren. Körperliche Arbeit alleine ist noch keine Strukturbildung in sich, wenn keine Strategie im Umgang mit den Körperteilen besteht. Und die Strategie des Körpers muss auf einer übergeordneten Strategie basieren, die die mentale Ebene mit der körperlichen Ebene nicht nur verbindet – sondern beide müssen konvergieren – also zusammenfinden, zusammenlaufen.

Beispiel: wenn du körperlich fit bist – zum Beispiel durch extrem anspruchsvolles Kampfsportausdauertraining – bist du dann auch automatisch fit für eine Besteigung des Mount Everest? Die Strategie um den Berg bestiegen zu können setzt eine gewisse Fitness voraus. Jedoch fehlen noch viele andere körperliche Elemente um der Strategie eines sicherheitsorientierten Auf- und Abstiegs gerecht zu werden. Denn was ist das Ziel: nur die Besteigung ohne Absturz? Nein – auch der Abstieg ohne Absturz. Zusammengefasst: einmal hoch und runter ohne dabei zu sterben oder massive Verletzungen davon zu tragen. Übergeordnet ausgedrückt: 0% Risiko gegenüber 100% Sicherheit (unserer Unterrichtsmotto übrigens).

In traditionellen Kampfkünsten wirst du nur daran gemessen, wie sehr du die Einhaltung der traditionellen Vorgaben einhältst. Also wie sehr du dich so bewegst, wie es andere vorgeben wie es sein soll. Auch hier kannst du nicht bei dir sein. Denn wenn du Vorgaben anderer Menschen minutiös einhalten musst um deren Anerkennung zu bekommen, dann kannst du nicht Dinge machen, die du intuitiv als sicherer empfindest.

Der Weg der IUEWT ist: die traditionellen Lernmethodiken Wing Tsun-Escrima sind keine Kampfkünste – kämpfen lernt jeder im Sandkasten – siehe in meinem Video (https://youtu.be/F4grL8qScXs) ausführlich erklärt. Sie sind lediglich Entwicklungswerkzeuge für den Körper und den Geist und bieten einen Lernraum als aber auch einen Fehlerraum – Fehlerraum bedeutet, dass du Dinge so oft falsch machst, bis du es bewusst als falsch wahrnimmst – erst dann weißt was falsch für diesen oder jenen Aspekt bedeutet. Beispiel Kleinkind und heiße Herdplatte – erst wenn es nach tausend Warnungen doch drauf packt weiß es, dass es falsch war und ist – es ist jetzt nachhaltig.

Und Nachhaltigkeit ist einer der Aspekte, den ich immer angestrebt hatte und erreicht habe: der Schritt der Entwicklung vom Schüler über den Lehrer hin zu jemandem, der über die Grenzen der verbalen Kampfkunstbeschränkungen nur noch auf der reinen Funktionsebene unterwegs ist. Und dies macht mich zufrieden und wollte ich immer erreichen – übrigens in der gleichen Gesellschaft von Bruce Lee, der durch die Philosophie und Umsetzung seines Jeet Kune Do nichts anderes zum Ausdruck bringt. Aber hier ist noch keine Ende für mich – denn die Umsetzung all dessen in alle anderen Lebensbereiche als übergeordnete Strategie des Lebens weiterzuführen bedeutet ewiges Lernen und dadurch Zufriedenheit als Langzeitperspektive. Mission accomplished – but only that part which leads to the next!

Hoffe diese Ausführungen geben dir ein wenig mehr Aufschluss. Wenn du noch Fragen hast melde dich. mfg